Poèmes Picturaux, Dr. Friedhelm Häring, 2016
In den Arbeiten von Ralf Altrieth, so in der großen Arbeit „Jimmy Schwarzwälder, Poet“, tummelt sich Vielerlei. In dem aus mehreren Farbschichten sich aufbauenden lebendigen Teppich aus Alltag und Erinnerungen, Assoziationen und spontaner Aussage in der Farbniederschrift fängt er Sterne und Figuren, Pilz und Hund, Vogel und Baum so dicht und lebendig ein, dass der Betrachter mitgerissen wird, in der Ebene des Bildes Räume und Zeiten zu durchmessen und in den Rhythmus dieser halbabstrakten und doch figurativen Malerei einzutauchen. Die Dinge, zum Beispiel Pilz und Hund, werden in einem großzügigen Dirigat aus bunten Pinselstrichen umfangen. Aus ihren Gründen leuchten viele Farben in den Betrachterraum und verbinden sich mit dem Lineament zu einer dynamischen Präsenz, einem Simultaneindruck von Bildklang. Die subjektive Imaginationsfreiheit des Künstlers, die auf Geruch und Geräusch, Traum und Welt reagiert, initiiert eine nicht reale Bildwelt. Wie in einem torkelnden Flug der Herbstblätter verbinden sich die Motive, auch solche die nicht zusammengehören zu einem surrealen Gesamt. Diese simultanen Grafitti des Unterbewussten haben ihre Väter in der Kunst von Paul Klee, Jean Miro oder Cy Twombly. Völlig falsch wäre es, zu den genannten Künstlern eine Abhängigkeit zu konstruieren. Die Arbeiten von Ralf Altrieth sind so unkonventionell und heutig, eigenwillig und kraftvoll lebendig, dass sich jede Abhängigkeit ausschließt.
Die sprachliche Kennzeichnung als unterbewusst oder surreal könnte zudem auf ein falsches Gleis der Beurteilung führen. Diese Worte sollen die Tatsache unterstützen, dass die Niederschrift des Gemäldes verhältnismäßig unverstellt und unmittelbar, ohne die Zögerlichkeit des Handgelenks, erfolgt.
Wie „Jimmy Schwarzwälder, Poet“ ist auch eine andere Arbeit gleichzeitig bedacht gebaut. Bei aller Wildheit und Freiheit zeigt „Création d’une nouvelle réalité“ die für eine wirkliche Nachricht oder Novelle notwendige Struktur. Form ist Information. Die beherrschende Form ist der Kinderwagen mit seinen Rädern. Dieser Kinderwagen wird von einer ausgezehrten Mutter geschoben, die rechts steht. Sie wird durch ihre nährenden Brüste in einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Kind im Kinderwagen gesehen. Aus ihrem großen, mit wild kreisenden Strichen überzogenen Kopf leuchten die Augen fragend und erschrocken hervor. Hinter dem Kinderwagen steht ein Alien, ein dürres Monster, der Erzeuger oder eine gesprächige Verwandte? Wie auch immer, Leben wird gezeigt im 'movens' seiner Malerei, das, wie das Leben selbst, um die Ahnung seines Endes kreist und nach dem Sinn fragt. Ludwig Wittgenstein veröffentlichte 1920 seinen Tractatus logico-philosophicus, den er schon als Soldat im ersten Weltkrieg an der östereichischen Ostfront begonnen hatte. „Der Sinn der Welt muß ausserhalb ihrer liegen, denn in der Welt ist alles, wie es ist und geschieht alles, wie es geschieht...“ lautet Erkenntnis 6.41 in seinem Buch.
Das ewige Kreisen von Zeugung und Vergehen ist wie „Le vent sur sa peau“. Dieser anrührenden Wärme kann man kaum widerstehen. Wie in einem Netz ist man gefangen, wenn die Zikaden in der Mittagshitze ihren Liebesgesang lockend in den Äther schicken, ein sanfter Wind schmeichelt unter dem Textil der Frau links und streichelt die Haut, nach der der liebeskranke Gockel auf seinem Stuhl rechts sich sehnt. So könnte man die Geschichte auch erzählen, zumal der Maler der Figur rechts einen Vogel auf die Schulter gesetzt hat, seit Jahrhunderten ein Symbol für Erotisches. Das Netz unter dem die Frau gefangen scheint, ist grob von links oben nach der Mitte hin über den Malgrund geschlagen. Der Kopf der Frau ist überproportional groß, der Hocker, auf dem die andere Figur sitzt, ist viel zu klein für so viel Masse. Wieder wird deutlich, dass die Linie ein kallligrafisches Mittel ist, schnell, spontan, lebendig, um Zeichen, Inhalte und Formen zu umschreiben und aneinander zu binden. Mit den Farben verwächst sie zur deutenden Kraft , zu einem dynamischen Klangakkord, aus dem uns – als geistige Alternative – emotionale Antworten auf die Realität entgegenkommen. Es liegt viel Poesie in diesem Bild, wie in allen Bildern unseres Künstlers. Sie sind voller narrativer Chiffren, voller Märchen. Die Unmittelbarkeit und Intensität seiner Bildkraft schweißt Natur, Ding, Tier und Mensch zusammen, mit, wie wir sehen, differenzierter inhaltlicher Aussage.
Die Striche und Formen sind dennoch brutal wie in „Envie de form“. Hier ist die originäre, bewusst naive Figurentechnik besonders deutlich. Wer da wen um seine Figur beneidet bleibt offen. Grob ist die Leinwand in Farbfelder geteilt. Oben ein Elch, Hirsch oder Ren mit Geweih, weiß, mit nur zwei Beinen vorne. Es folgt ein riesiger Kerl mit einem Fantasiegebilde auf dem Kopf und einer Pfeife im Mund. Der Kopf ist wie eine Rübe geformt, was es schwierig macht, vom Mund zu sprechen. Dann ist links ein schwarzes Gebilde mit Kopf, Armen, Füßen. Diese Figurationen erinnern an Wandkritzeleien, führen gezielt in eine Trivialität, die das Trennende zwischen einer harmonikalen Welt der Ideen und einer unmittelbaren Primitivität niederreißt. Dies trifft auch für „Ah, t’es encore là“ zu. Ein schwarz gekritzelter großer Männerkopf, links, steht einem ebenso großen rotstrichigen Frauenkopf gegenüber. Unten rechts ein Hundegebilde. Die Ursprungsformen finden wollten Jean Dubuffet oder Karel Appel, um in dieser gewonnenen Primitivität das Reine, Unverbrauchte wiederzuentdecken.
In diesem Sinne sind die Malpoeme des Ralf Altrieth ein reiner, kindhafter Gesang. Aus seinem Pool der Improvisationen befördert er eine unverstellte Welt spontaner Freuden und großer Anregungen. Das Erstaunlichste aber in seinen Bildern ist die sich mitteilende Liebe zu den menschlichen Befindlichkeiten.